Music Union

„Ich handle, also verstehe ich“

 

Die Poststelle im Kopf

Unter dem Bügel des Kopfhörers mit dem wir z.B. Musik hören, zieht sich von einem Ohr zum anderen quer über den Schädel unter der Schädeldecke eine etwas schrumpelige Furche zwischen zwei dicken Gehirnwindungen hindurch. Das ist die Zentralfurche. Vor dieser Furche, dort wo man gewöhnlich die Sonnenbrille ins Haar steckt, liegt der Frontallappen hinter der Stirne. Hier knistert es, wenn wir Sachen durchdenken, verstehen und planen. Hingegen hinter dem Bügel des Kopfhörers, da liegt unter der Schädeldecke die Steuerung des Körpers im Scheitel- und Hinterhauptlappen. Wenn wir uns bewegen, Objekte von einem Ort an einem anderen stellen, unseren Weg durchs Gedränge bahnen, etc., dann sind die Schaltkreise hinter dem Kopfhörerbügel aktiv und sorgen dafür, dass wir niemanden im Gedränge umrennen. 

Hier, in diesen hinteren Teilen, treffen alle Informationen der Außenwelt ein. Da ist sozusagen die Poststelle, die entgegennimmt, was die Sinne draußen gesehen, gehört, berührt etc. haben. Hingegen das Vorderhirn hat selber gar keinen Kontakt zur Außenwelt. Es ist abgeschirmt wie eine Dunkelkammer und arbeitet nur mit internen Informationen, die es von der Poststelle geliefert bekommt. Deshalb kann es passieren, dass wir jemand umrennen wenn wir zu sehr in Gedanken beschäftigt sind. Denn da sind wir in dieser Kammer die kein Fenster nach draußen hat.

Wenn wir nun etwas Neues lernen wollen, dann muss das also erstmal ihm Hinterkopf bei der Poststelle abgegeben werden, damit da vorne bei unserem Verstand überhaupt was ankommt. Daher ist es nützlich zum Lernen zunächst vor allem Arme, Beine, Hände und konkrete Gegenstände zu benutzen, denn die haben Zugang zur Poststelle. Je mehr hier mit Händen und Füßen be-griffen und ver-standen wird, umso mehr kann nachher im Kopf an die Direktion nach vorne weitergeleitet werden. Das ist also der Weg für Input, für Lernen. Der umgekehrte Weg ist der für den Output: Wir haben etwas im Vorderhirn durchdacht, sind zu einem Beschluss gekommen und geben den entsprechenden Befehl dann vom Vorderlappen nach hinten zu den Arealen durch, die den Körper steuern damit der dann auch das macht, was wir beschlossen haben.

Achtung Einbahnstraße

Leider hat man sich angewöhnt, wenn man jemand etwas Neues beibringen möchte, also ihm neuen Input schicken möchte, dessen Gehirn in Output Richtung zu benutzen. Das liegt daran, dass, wer bereits etwas kann und weiß, der hat selber bereits einigen Input in seinem Gehirn angesammelt und nach und nach damit im vorderen Teil seines Kopfes eine 'Bibliothek' aus Vorstellung dazu aufgebaut. Auf die ist er natürlich stolz und möchte dies jetzt Anderen beibringen. Also beginnt er von seinen Vorstellungen zu reden. Da eine Vorstellung aber weder riecht noch schmeckt noch sich bewegt, da sie weder die Sinnen, noch Arme oder Beinen anspricht, kann die Poststelle des Empfängers mit diesen Erklärungen wenig anfangen. Der Arme schaut uns hilflos an, denn seine Poststelle sagt: „An Absende zurück. Adressat unbekannt.“ Genauso hilflos fühlt ihr euch vermutlich, wenn wir sagen, dass wir „präzentrale Lerninhalte durch postzentrale Aktivität ausbauen und sie dann tiefen-neuronal verankern“. Eure Poststelle im Hinterkopf könnte damit sicher mehr anfangen, wenn wir es mit Konfuzius‘ Worten sagen: „Ich höre und vergesse, ich sehe und behalte, ich handle und verstehe.“

Von der Ehrung zur Entsorgung

Wenn wir einem Lernenden unser fertiges, im vorderen Kopf zusammengesetztes Ergebnis präsentieren, dann ist das so, als ob wir von ihm erwarten rückwärts aus einer Einbahnstraße heraus zu fahren. Er muss den Weg vom Vorderhirn aus rückwärtsgehen und hinter seiner Zentralfurche stöbern um dort einen Input aus der greifbaren äußeren Welt zu finden, der zu dem passt, was ihm da erklärt wird. Findet er dort unter seinen eigenen Erfahrungen nichts, mit dem er nachträglich diese Wurzeln herstellen kann, die ihm erlauben sich etwas unter dem vorzustellen was da gesagt worden ist, dann bleibt, was ihm erklärt wird eine Schnittblume: Beeindruckt für den Augenblick und ist nach Kurzem verwelkt. Ähnlich ist das, wenn wir aus einem Buch lernen, denn lesen als solches ist eine Aktivität des Vorderhirns.
Es ist also kein Wunder, dass viele Inhalten, die wir in der Schule gelernt haben und die unsere Abschlussnoten bestimmt haben, den Weg der Schnittblumen gegangen sind: von der Ehrung zur Entsorgung. Jeder weiß, wie rasch das für einen Test Gelernte wieder in Vergessenheit geraten kann.

Und was soll daran jetzt neu sein?

Zu allen Zeiten gab es auch erfolgreiche Pädagogen, die instinktiv den richtigen Weg für Input zu nutzen verstanden. Gedächtnis-Champions erzählen im Fernsehen im Grunde genau denselben Trick: Sie sehen alles was sie erinnern möchten ganz konkret vor sich, als könnten sie es anfassen, und verbinden es durch Handlung zu einer Geschichte.
Der Vorteil der Gehirnforschung ist nun, dass diese Erfolge keine Zufallstreffer mehr sein müssen, die dem Instinkt einiger Naturtalente überlassen sind, sondern wir haben es mit einem physiologischen Zusammenhang zutun dessen sachgerechte Nutzung versthbar und reproduzierbar ist.

 

 

Kunst: ein Grundbedürfnis! - Und wie sie beim Lernen hilft.

 

Ohne Gefühle kein Gedächtnis

Während die Steuerung der Körperbewegungen und das Speichern von Erkenntnissen außen in der Gehirnrinde liegen, führen Emotionen in die Tiefen des Gehirs. Dort ist die Hormonküche. Je stärker die Emotion, umso Stärker die Hormonausschüttung und umso nachhaltiger die Erinnerung. Prof. Manfred Spitzer fragt seine Hörer, ob sie sich daran erinnern, wo Sie waren, als Sie die Nachricht von den Flugabstürzen im World Trade Center und Pentagon hörten? Im Gegensatz zu dem was man am Tag davor oder danach gemacht hat, ist dieser Augenblick in der Erinnerung fixiert.
Die Frage ist nun, ob dieser Effekt auf einzelne einschneidende Erlebnisse beschränkt bleiben muss, oder ob er auch stetige Lernprozesse kontinuierlich begleiten kann?

Kunst streichelt das Kätzchen im Ohr

Jeder weiß dass wir uns Sätze die sich reimen besser merken können („sechs mal sechs ist sechsunddreißig, in der Schule ist man fleißig“). Woran liegt das? Das liegt daran, dass Rhythmus und Gleichklang Gefühle auslösen: „dreißig“ und „fleißig“ haben inhaltlich gar nichts miteinander zu tun, aber sie kommen auf dem Gleichmaß des Rhythmus daher geschwommen wie kleinen Wellen, die in unserem Ohr mit vorhersehbarer Regelmäßigkeitans Ufer plätschern. Und das fühlt sich angenehm an. Sagen Sie einmal vor sich hin „die Zahl sechs ergibt, wenn  sie mit sich selber multipliziert wird, sechsunddreißig“ und dann sagen Sie   „sechs mal sechs ist sechsunddreißig, in der Schule ist man fleißig“ und vergleichen Sie wie es Ihren Gefühlen dabei geht.
Was sagt ihre Katze, wenn sie ruckartig Ihre Hand über Ihren Rücken zucken lassen? Bei glattem Streicheln werden Sie dagegen mit Schnurren belohnt. Was Ihre Hand auf dem Rücken der Katze macht, geschieht in unserem Ohr beim Hören. Da drinnen haben wir nämlich genau das, was die Katze auf dem Rücken hat: ein feines, weiches Fellchen. Und wenn dieses Fell schön gleichmäßig gestriegelt wird, dann genießen wir das. Ein holpriger Prosa-Satz hingegen behandelt das Fellchen struppig. Wenn Sie dichten oder ein Lied hören, dann wird fortwährend Ihr kleines „Kätzchen“ im Ohr mit dem Gleichmaß von Rhythmus und Reim gestreichelt. Deswegen hört man sich Songs gerne immer wieder an. Hingegen, wenn jemand nicht aufhört Ihnen denselben Inhalt immer wieder mit holprigen Worten zu sagen, dann haben Sie ziemlich bald genug davon. Songs hingegen genießen die meisten noch wenn sie es zum hundertsten oder tausendsten Mal hören!

Kunst ölt das Getriebe im Kopf

Rhythmus und Reim lösen also starke angenehme Gefühle aus, die wir uns gewöhnlich kaum bewusst machen, auch wenn wir die Wirkung genießen. Sie schütten Hormone aus, die das Erlebte in unserer Erinnerung verankern. Unter ihrem Glanz fixieren diese Hormone aber nicht nur das Gehörte in der Erinnerung, sondern mit ihrer Dopamin-Dosis vertreiben sie auch Müdigkeit und stärken das Immunsystem. Und nicht zuletzt ölen sie sozusagen das Getriebe unter der Schädeldecke mit Neurotransmittern, denn diese machen, dass alle Denk-Verbindungen schneller laufen. Wenn nun für das Auge noch gegenständliche Bilder hinzukommen, statt abstrakter Schemata, dann hat auf die Poststelle was sie braucht, um es begeistert anzunehmen.